Patrick Seigerschmidt ist seit 15 Jahren in der Stiftung zkj tätig und seit letztem Jahr Institutionsleiter der Gesamtorganisation DEF (Wohneinheiten Dialogweg, Eichbühl, Fennergut). Auch als Präsident von FICE* Schweiz engagiert er sich für die ausserfamiliäre Kinder- und Jugendhilfe. Anlässlich des 35. FICE International World Congress vom 23. bis 25. Oktober 2024 in Split, Kroatien, haben wir ein Interview mit ihm geführt.
Patrick, wie bist du zu FICE Schweiz gekommen?
"Das war vor etwa fünf Jahren über eine Kollegin in der Prüfungskommission an der ZHAW. Der Kernauftrag, die ausserfamiliäre Kinder- und Jugendhilfe über den stationären Bereich hinaus weiterzuentwickeln, hat mich von Anfang an überzeugt. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Partnerverbänden aus Europa, Afrika und den USA sehr bereichernd und motivierend."
Inwiefern?
"Wir teilen alle dieselbe Überzeugung: Mit unserer Arbeit bewirken wir etwas von gesellschaftlicher Relevanz. Auch wenn die länderspezifischen Ausgangslagen und Herausforderungen – mit Ausnahme des Fachkräftemangels – unterschiedlich sind, lohnt es sich, dafür einzustehen."
Kann die Schweizer Sozialbranche etwas von anderen Ländern lernen?
"Diese Frage beantworte ich gerne am Beispiel meiner ungarischen Kolleginnen und Kollegen: Sie haben mit Zuständen zu kämpfen, bei denen der Staat teilweise fast gegen sie arbeitet. Manchmal wissen sie nicht, ob der Lohn Ende des Monats überwiesen wird. Dennoch lassen sie sich nicht entmutigen. Ihre Haltung gibt ihnen die nötige Kraft, sodass sie mit wenig dennoch viel bewirken. In diesem Sinne finde ich: Ja, wir in der Schweiz können uns durchaus ein Stück von dieser Haltung abschauen."
Du meinst, wir jammern auf hohem Niveau?
“Oftmals schon. Ich meine nicht, dass wir keine Forderungen stellen oder keine Erwartungen haben sollten. Sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber das darf uns nicht daran hindern, uns im Feld zu engagieren. Wenn wir wollen, können wir mit den vorhandenen Ressourcen innovative und kreative Lösungen entwickeln.”
Wie oft treffen sich die Mitglieder von FICE?
"Wir pflegen einen regen Austausch, vor allem digital. Es finden aber auch direkte Treffen u.a. in der ZHAW statt. Zudem haben wir themenspezifische Arbeitsgruppen, wie z.B. zu 'Careleaver'. Ein grosser Kongress mit den Ländervertretungen findet im Oktober in Split statt."
Die aktuelle Kampagne von FICE Europa lässt Kinder zu Wort kommen. Sie beschreiben die ideale Betreuungsperson aus ihrer Sicht. Vor ein paar Monaten wurden noch Teilnehmer:innen gesucht. Kann man das Ergebnis bald sehen?
"Mir gefällt die Kampagne sehr gut. Sie zielt darauf ab, die Schönheit unseres Berufs hervorzuheben und zu zeigen, welche Wirkungsmöglichkeiten wir haben. Leider wollte sich in der Schweiz niemand an der Aktion beteiligen, weshalb die Kampagne hier nicht ausgespielt wird, was ich bedaure. Denn unser Beruf ist wirklich schön: Wir können an Beziehungen arbeiten, tauschen uns in starken, kompetenten Teams aus und tragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei."
Du nimmst auch Aufnahmeprüfungen an der ZHAW ab. Wie entwickeln sich die Studentenzahlen beim Studiengang Sozialpädagogik?
“Aktuell stabilisieren sich die Anmeldezahlen wieder. Sie haben das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Das ist eine positive Nachricht, zumal der Bedarf an Sozialpädagog:innen ja steigt und nicht sinkt.”
Du bist seit 15 Jahren in der Stiftung zkj. Was macht das Angebot von DEF aus?
"Bei uns sind kleine Organisationseinheiten dezentral aufgestellt. Das gibt den Teams vor Ort viel Verantwortung und gleichzeitig die Freiheit, Dinge umzusetzen und zu verwirklichen. Hinzu kommt, dass die Wohnungen in städtische Wohnquartiere eingebettet sind, was für die Kinder und Jugendlichen sehr realitätsnah ist. Gerade gestern haben wir eine Veranstaltung bei uns im Hof im Eichbühl durchgeführt: 'GO DEF sucht das Supertalent.' Zwölf Teilnehmer:innen haben ihr Können präsentiert: Sie haben geturnt, gesungen und gezeichnet. Da sind dann auch mal Passanten neugierig stehengeblieben, haben zugeschaut und applaudiert. Die Kinder und Jugendlichen haben dadurch spontane Wertschätzung erfahren."
Was ist deine Vision für die nächsten 5 Jahre?
"Ich denke, unser Konzept ist zeitgemäss und wird immer gefragter sein: Mietwohnungen, mit denen man flexibel auf Bewegungen in der Stadt reagieren kann. Aber natürlich braucht es sämtliche Angebote in der Palette, weshalb die Vielseitigkeit der Stiftung von Vorteil ist. So können bedarfsgerechte Lösungen entwickelt werden."
Patrick, ich weiss, dass du auch in verschiedenen Projekten innerhalb der Stiftung mitwirkst. Wo holst du dir eigentlich deinen Ausgleich zu so viel Engagement?
"Ich renne! Draussen in der Natur und gerne auch mit Höhenmetern. Oder ich klettere, das kann ich auch in der Halle machen."
Vielen Dank, Patrick, für deine Zeit und dein Engagement für den Beruf und die Arbeit der Sozialpädagogik.
*Die Fédération Internationale des Communautés Educatives (FICE) ist ein Fachnetzwerk von Personen aus allen Bereichen der ausserfamiliären Kinder- und Jugendhilfe: aus der direkten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aus Forschung und Lehre, von Fachverbänden, aus Behörden und von Hilfswerken. Die FICE wurde 1948 im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen gegründet; Ziel war die Entwicklung einer bestmöglichen Arbeit für und mit den Kindern und Jugendlichen in den Dörfern. Heute ist FICE in 35 Ländern auf 5 Kontinenten tätig.